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Emotionen – Demokratie - Populismus
Populismus, Emotionen und Demokratie
Paloma Fernández de la Hoz
Veröffentlichung: http://blog.ksoe.at/populismus-emotionen-und-demokratie/: 7.9.2017.
Offene Zukunft ist keine rosige
Herbstzeit ist heuer Wahlzeit ... Wenn wir uns etwa in die 1970er-Jahre versetzen könnten,
wären die unterschiedlichen politischen Angebote viel deutlicher als heute. In unserer Zeit ist
die politische Kartografie dynamischer, pluraler und eindeutig viel konfuser geworden, da wir
heute vor einer Zukunft stehen, die offener denn je erscheint. „Alles ist miteinander
verbunden“, wiederholt Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’. Die gegenseitige
Abhängigkeit innerhalb und außerhalb der eigenen nationalen Grenzen nimmt zu.
Populismus – Mode, Ausrutscher oder Vision?
So viel Offenheit klingt theoretisch sehr schön, macht vielen aber auch Angst. Wenn hinzu noch
andere negativen Emotionen kommen, dann bildet sich die Bereitschaft zur Akzeptanz
populistischer Politik. Was aber ist Populismus? Der Begriff wird meist so konfus und
instrumentalisiert – häufig als Schimpfwort – verwendet, dass er Gefahr läuft, als das zigste
Modewort abgewertet zu werden. Persönlich ringe ich nicht um Vokabel, glaube aber mit
Umberto Eco, dass es guttut, zwischen verschiedenen Phänomenen zu unterscheiden. Denn
nur durch Klarheit sind Menschen in der Lage, gezielt zu handeln.
Zugegeben: Noch heute wird über den Begriff Populismus diskutiert. Denn es geht um ein
Phänomen mit unterschiedlichen Wurzeln und unterschiedlichen Grads an Intensität, je nach
den Umständen. Es lohnt sich aber, Menschen Gehör zu schenken, die das Phänomen seit
langer Zeit verfolgen: Populismus ist viel mehr als ein Überrest alter Zeiten oder eine Art
punktueller „Ausrutscher“ aus der politischen Korrektheit.
Populismus ist eine politische Vision mit ihren Theoretikern. Diese Vision korreliert mit einer
Präferenz für gewisse Handlungs- und Kommunikationsstrategien. Sie kann unter gewissen
Umständen politischen Erfolg haben. Und sie ist und wirkt zwangsläufig antidemokratisch.
Politische Vision: Fortschritt mit Rückschritten
Populismus ist keine primitive, antimoderne Art, Politik zu betreiben. Vielmehr entsteht er
infolge der Moderne und ihrer Widersprüche. Es geht um eine Antwort auf soziale Krisen, die
von neoliberal gestalteten Globalisierungsprozessen immerzu generiert werden. Wie die
totalitären Modelle, die 1945 besiegt wurden, ist Populismus streng gegen Eliten, aber im
Unterschied zum Faschismus und Altkommunismus stellt der Populismus die Demokratie
theoretisch nicht infrage. Er versucht, aus einer Massengesellschaft eine homogene und somit
politisch wirksame Einheit zu machen.
Das Herz populistischer Projekte ist „das Volk“. Nicht die Nation, die nicht nur als
Herkunftsgesellschaft, sondern auch als Gemeinschaft aller BürgerInnen erlebt werden kann.
Das Volk als solches gibt es aber nicht: „Populist ist, wer sich ein virtuelles Bild vom Willen des
Volkes macht.“ (Umberto Eco) Dieses Bild muss aber sehr scharf sein, um trotz Virtualität zu
bestehen. Dies erklärt die Bedeutung der Dialektik „wir“ (Volk) und „die anderen“ (Feinde).
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Emotionen – Demokratie - Populismus
Links oder rechts?
Traditionelle Kategorien wie „links“ und „rechts“ gelten nicht, um Populismus
näherzukommen. Im Grunde genommen sind Populisten scharfe KritikerInnen der Moderne.
Sie glauben nicht an das Integrationspotenzial klassischer repräsentativer Demokratien und
versuchen daher, ihr Land durch Pragmatismus (Konstruktion einer inexistenten Homogenität)
politisch operativ zu gestalten.
Sie auf Opportunisten zu reduzieren, ist ein großer Irrtum. Populismus als politische Theorie
muss ernst genommen werden. Die Verteidigung der repräsentativen Demokratie führt zur
Konfrontation mit einer anderen Sicht von Gesellschaft und Politik, die bis dato links und rechts
Gestalt angenommen hat.
Im wohlhabenden Europa generiert eine neoliberal geleiteten Weltwirtschaft nach wie vor
VerliererInnen und Menschen werden bloß als Konsumenten oder Produzenten
wahrgenommen. Das Pikante dabei: Ein Großteil des Unbehagens der BürgerInnen, die
Populismus unterstützten, wird von derselben neoliberalen Wirtschaftslogik produziert, mit der
Populismus problemlos zusammenleben kann, wenn seine VertreterInnen politische
Verantwortungen übernehmen.
Strategien: Das Ziel diktiert den Weg
Wie kann Homogenität in Gesellschaften entstehen, die immer verschiedener und kulturell
vielfältiger sind? Diese Homogenität kann nur konstruiert werden. Wie? Populisten wissen,
dass politische Herrschaft auf kultureller Herrschaft baut. (Villacastín)
Die Sprache ist das Werkzeug, mit dem im Populismus Homogenität geschaffen wird. Es geht
aber nicht um eine argumentative Sprache, sondern vielmehr um Emotionen, denn durch
Emotionen werden Menschen kollektiv mobilisiert. Insbesondere, wenn ganz klar definiert
wird, wer dazugehört und wer nicht. Daher die Bedeutung von Expressionismus: Gefühle,
Werte und Identifizierungen werden immer wieder ausgedrückt und inszeniert.
Manichäismus ist der Eckstein populistischer Rhetorik. Die Trennlinie zwischen „wir“ und „die
anderen“ kann hier und da angepasst werden, sie muss aber immer existieren, denn sie
verschafft die Kohäsion des „Volkes“, d. h. jenes Teils der Gesellschaft, der die Herrschaft für
sich allein beansprucht. Populistische Sprache ist kuschelig nach innen und scharf nach außen.
Mit Argumenten wird dafür salopper umgegangen. Wichtig im populistischen Sprachgebrauch
ist die Rhetorik; sie muss Biss haben, selbst wenn diese auf Halbwahrheiten, falschen
Argumenten (fallacies) oder sogar auf fake news (etwa, dass der Kandidat zum
Bundespräsidenten schwer krank oder an der Schwelle einer Demenz sei) baut.
Für populistische Zwecke ist eine intelligente und systematische Anwendung von Propaganda
unbedingt erforderlich. Diese Propaganda zielt nicht darauf ab, Partikularinteressen im
Rahmen eines sozialen Dialogs besser zu vertreten (was an sich legitim wäre), sondern
vielmehr darauf, durch ständige Präsenz in der öffentlichen Meinung auffällig zu werden und
die maximale Kontrolle der res publica zu erreichen. Umberto Eco hat einige dieser Strategien
beobachtet. Zu diesen zählen beispielweise:
•
Platte, nicht unbedingt wahre Äußerungen, die nicht geglaubt werden sollen, aber
leicht in Erinnerung bleiben.
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Emotionen – Demokratie - Populismus
•
Auffällige Äußerungen (Mauer zwischen Mexiko und den USA). Wichtig ist die
Allgegenwärtigkeit des Leaders in der Öffentlichkeit.
•
Monopolisierung gemeinsamer Werte: „Wir sind die Einzigen, die an die Heimat
denken oder das Christentum verteidigen.“
•
Extreme verbale Aggressivität gegenüber Gegnern und dafür Klage über die eigene
Verfolgung („wir werden ausgegrenzt“).
•
Appell an kollektive Heimatgefühle durch Aktivierung von Emotionen (Fahnen,
Musik, Umzüge usw.)
•
Ständiger Bezug auf ein Komplott. Identifizierung eines vermeintlichen Feindes, der
versucht, das Land zu ruinieren oder zu vernichten.
•
Dämonisierung des Gegners
Volk und Leader
Für eine solche politische Vision sind komplexe Begriffe à la Habermas wie etwa
Verfassungspatriotismus definitiv zu abstrakt. Darüber hinaus eignen sich Konzepte zu einer
unerwünschten Vielfalt von Interpretationen. Leader hingegen sind immer konkret. Durch die
Konvergenz der Zuneigung und Anhängerschaft so vieler Individuen in ihrer Person schaffen sie
die soziale Kohäsion des Volkes. Die wichtigste Funktion des Leaders ist es, das Volk zu
verkörpern.
Diese Logik steht hinter den Versuchen, Institutionen zu relativieren oder ihre Kompetenzen zu
begrenzen: Sie seien zu anonym, sie erschweren die direkte Kommunikation in der Dyade
Volk–Leader.
Populisten sind immer die anderen
Taguieff warnte schon lange: Populismus rückt in die Mitte! Altkanzler Vranitzky sagte einmal,
dass „politisches Leben kein Mädchenpensionat“ sei. Das Parkett der Politik war immer hart
und sehr häufig unfair. Etablierte Parteien sind heute aber versucht, zu wirksamen
populistischen Strategien zu greifen, um Wahlen zu gewinnen. Das ist auch Populismus.
Solche Strategien können zwar kurzfristig erfolgreich sein, mittelfristig sind sie aber schädlich.
Wie partikularistische Interessen oder krankhafter Protagonismus führen sie in
unterschiedlichem Ausmaß, je nach konkretem Fall, unweigerlich zur Aushöhlung der
Demokratie.
Aufstand gewisser Emotionen
Merkwürdig, wie manche Phänomene, die uns sehr aktuell vorkommen, im Grunde nichts
Neues sind! In seiner Reflexion über die Zwischenkriegszeit (1918–1939) erklärt der Historiker
René Remond die Krise der damaligen demokratischen Regimes, weil diese in einigen Ländern
– wie Ungarn, Tschechoslowakei – als „zu neu“ (unerfahren), in anderen – Großbritannien,
Frankreich – als „zu alt“ (träge, unfähig) erschienen, um damalige Krisen zu meistern.
Um an die Macht zu gelangen, müssen PopulistInnen auf BürgerInnen zählen, die entweder
eine sehr defizitäre Erfahrung von repräsentativer Demokratie haben oder von dieser
repräsentativen Demokratie und ihren VertreterInnen zutiefst enttäuscht sind. Hier lohnt sich
ein Perspektivenwechsel, um kurz über Emotionen und ihre politische Rolle nachzudenken.
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Emotionen – Demokratie - Populismus
Seit Antonio Damasio (1994) wissen wir, dass wir nicht so rational unterwegs sind, wie wir
glauben. Vielmehr gibt es eine innige Verbindung zwischen unseren Emotionen (d. h.
unbewussten Gefühlen) und unserer Denkweise. Emotionen, Gefühle, Gemütsstimmungen …
all diese inneren Befindlichkeiten nicht rationeller Art sind überaus wichtig, um in Kontakt mit
der Realität im Privatbereich und auch im sozialen Leben zu kommen. Generell könnte
behaupten werden: Je mehr Menschen ihre Emotionen verarbeiten, desto erfahrener, reifer,
ausgewogener werden sie bei ihren Urteilen.
Aus diesen Gründen sind Emotionen immer sozial relevant. Sehr oft sind sie positiv, wie etwa
Sympathie, Mitleid, Identifizierung. Emotionen können aber auch negativ wirken. Heute stellen
unterschiedliche Fachleute das Vorhandensein weit verbreiteter Ängste unter der Bevölkerung
in den EU-Ländern fest, nämlich Angst vor dem Verlust des erworbenen Wohlstandes sowie
Angst vor dem Verlust der eigenen kulturellen Identität. Bis dato geht es um eine signifikante
Minderheit, die Tendenz steigt aber:
„Wir sind in ein Zeitalter der Unsicherheit eingetreten. Wirtschaftliche Unsicherheit,
physische Unsicherheit, politische Unsicherheit. Dass das weitgehend unbemerkt
geschehen ist, ist kein Trost. (…)
Unsicherheit erzeugt Angst. Und Angst – Angst vor Veränderung, Angst vor sozialem
Abstieg, Angst vor Fremden und einer fremden Welt – zerfrisst das wechselseitige
Vertrauen, auf dem die Bürgergesellschaft beruht.“
(Tony Judt, Dem Land geht es schlecht. 2011, Hanser, S. 17)
Phänomene wie Wirtschaftskrisen, häufige oder schwerwiegende Fälle von Korruption,
ineffiziente Institutionen, sichtbare Verstöße gegen das proklamierte Prinzip der
Gleichbehandlung fördern auch Enttäuschung und Empörung. Auf diese folgen etwa allgemein
verbreitete Interesselosigkeit, Sehnsucht nach einem starken Führer, Anzeichen von
Sozialdarwinismus und Fremdenfeindlichkeit, wechselseitige Entfremdung zwischen einer
politischen Klasse und dem Rest der BürgerInnen. Und das ist gerade der Wind, mit dem
Populisten segeln.
Negative Emotionen sind neurologisch gesehen primärer und leichter wachzurufen als positive.
Es fällt auch schwerer, diese negativen Emotionen zu verarbeiten. Verunsicherung verlangt
nach Sicherheit und sogar nach Geborgenheit. Empörte Leute neigen dazu, sofort Schuldige zu
identifizieren. Dazu nur ein trauriges Beispiel: Am 17. August fand das Attentat auf den
Ramblas von Barcelona statt. Zwei Tage darauf war auf den Straßen und in den sozialen Netzen
Spaniens eine Mauer von Islamophobie sichtbar, gegen die allerlei Argumente – zumindest
kurzfristig – anprallten. Wie wir alle mit weit verbreiteten negativen Emotionen umgehen, ist
politisch sehr relevant. Solche Emotionen zu benutzen, um die Dynamik „wir“/„die anderen“
aufrechtzuerhalten, ist schlicht antidemokratisch.
Demokratie ... aber welche?
Seit dem Sieg der Totalitarismen im Jahre 1945 ist Demokratie eine Art kultureller
Selbstverständlichkeit geworden. Überall auf der Welt handeln PolitikerInnen in ihrem Namen.
Sogar Diktatoren und autokratische Staatsleute tun dies. Was aber ist dann Demokratie?
Demokratie ist das einzige politische System, das viel mehr erfordert als die passive Akzeptanz
der BürgerInnen. Das ist etwas Besonderes, was es bei keinem anderen politischen System gibt:
Ein demokratischer Konsens impliziert, dass Menschen zusammenleben wollen und damit
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Emotionen – Demokratie - Populismus
einverstanden sind, ihre Souveränität nach bestimmten Grundregeln und über gewisse Kanäle
– Institutionen – zu artikulieren. Das ist eben eine „repräsentative“ Demokratie.
Demokratische Systeme können nur dort bestehen, wo die BürgerInnen eine demokratische
Kultur verinnerlichen, teilen und sich am Leben der „Republik “ (res publica) beteiligen. Die
Grundlagen dieser demokratischen Kultur sind die Gleichstellung aller Menschen vor dem
Gesetz, die in einem Land leben; die saubere Trennung der legitimen Gewaltformen; der
soziale Dialog als Mittel zum Umgang mit Interessenkonflikten; sozialer Zusammenhalt.
Hier geht es um viel mehr als um Schönreden: Werden diese erwähnten Prinzipien nicht
respektiert, dann wird die Demokratie unweigerlich ausgehöhlt, selbst wenn ihre klassischen
Institutionen bestehen bleiben.
In dieser Hinsicht behaupten einige ExpertInnen, dass populistische Parteien heute in Europa in
erster Linie ein Warnsignal sind. Ihre Präsenz und ihr Wort decken schonungslos einige
Widersprüche und Mankos der repräsentativen Demokratie auf. Warnsignale ernst zu nehmen,
tut immer gut. Denn was die BürgerInnen heute dringend benötigen, sind neue Wege und
Formeln, um aktuelle Herausforderungen so gut es geht in einem echten, möglichst breiten
sozialen Konsens zu meistern. Insbesondere, wenn diese neuen Wege zuweilen schmerzhaft
sein können.
LITERATUR
Populismus
Diehl, P. Die Komplexität des Populismus. In: Totalitarismus und Demokratie 8 (2011), 2, pp. 273-291.
(http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-326313 . Zugriff: 4.8.2017).
Holtmann, E u.a. (2006): Die Droge Populismus. Wiesbaden: SV.
Laclau, E. (2005): La razón populista. Buenos Aires: FCE.
Mouffe, C.: (1999): El retorno de lo político. Barcelona: Paidós.
Taguieff, P.A. (2002): L’illusion populiste. Paris: Éditions Berg International.
Taguieff, P.A. (2012): Le nouveau national populisme. Paris: CNRS.
Villacañas, J.L. (2015): Populismo. Madrid: La Huerta Grande.
Emotionen
Damásio, Antonio (1994): Descartes’ Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn.
München: List.
Nussbaum, Martha (2008): Paisajes del pensamiento. La inteligencia de las emociones. Buenos
Aires: Magnum. S. 106 ff.
Ebenfalls empfehlenswert
Umberto Eco hat die Strategien des Populismus sehr scharf beobachtet: Eco, U. (2007): Im
Kerbsgang voran. München: Hanser. S. 106–138.
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Emotionen – Demokratie - Populismus
Für Interessierte an die grenzenlosen Möglichkeiten falscher Argumentationsformen siehe:
Master list of logical fallacies (http://utminers.utep.edu/omwilliamson/engl1311/fallacies.htm.
Zugriff: 4.8.2017).
Paloma.fdelahoz@ksoe.at
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